Exil-Texte
No 13
Impfen statt Testen!
Zuerst wollen wir etwas klarstellen: ein intaktes Testregime ist ein wichtiger Grundpfeiler in der Pandemiebekämpfung und jeder entdeckte Fall hilft, potentiell viele weitere zu verhindern.
Gleichzeitig bereitet uns die Erkenntnis, dass temporäre Covid-Zertifikate via Schnelltest noch niederschwelliger gestaltet werden müssen, etwas Kopfschmerzen. Gemäss der sehr hohen Schweizer Impfbereitschaft sollte sich der Anteil Testzertifikate eigentlich rasant zugunsten von Impfzertifikaten reduzieren. Diese Entwicklung scheint auszubleiben, was einen Zusammenhang zwischen dem stark abflachenden Impffortschritt und der vermeintlichen Alternative zur Impfung in Form des Schnelltests vermuten lässt. Gerade in unserer sehr zentralen, weil jungen, aktiven und mobilen Zielgruppe könnte dies ein verheerender Trugschluss sein.
Wir glauben aufgrund der bisherigen Erfahrungen nicht, dass die Pandemie durch langfristige, flächendeckende Testungen besiegt werden kann, der Ansatz der Immunisierung verspricht mittel- und langfristig deutlich mehr.
Zeitlich und örtlich kaum eingeschränkte Schnelltestungen mögen zwar kurzfristig zu einer absoluten Chancengleichheit zwischen Geimpften und Ungeimpften und somit für Veranstaltungen in Innenräumen zu einem grösseren Publikumszulauf führen, wogegen grundsätzlich auch nichts einzuwenden ist – wir profitieren auch von diesem Effekt. Wenn ein solches Regime jedoch auch zu einer weiteren Verlangsamung des Impffortschritts führt, was leider zu erwarten ist, gefährdet es 1:1 eine mindestens gleich oder weniger eingeschränkte Club-Hauptsaison im Herbst und Winter.
Abgesehen davon dürften die staatlichen Kosten (aka Steuergelder) für wöchentlich zehntausende „zusätzliche“ Testungen versus der einmaligen Investition für zwei Impfdosen pro Person explodieren. Von weiteren Unterstützungen (zB Kulturausfallentschädigungen oder Härtefallhilfen) im Falle von weiteren Einschränkungen oder gar erneuten Schliessungen der Betriebe ganz zu schweigen.
Nach knapp 1.5 Jahren in dieser Pandemie sind wir an einem Punkt, wo wir als Gesellschaft das Geschehen so direkt beeinflussen können, wie noch nie. Dabei zieht sich der Grundgedanke der Solidarität nahtlos durch. Von den Besorgungen für Menschen aus der Risikogruppe im Frühjahr 2020 über die Benutzung eines sinnvollen Contact Tracing Tools bis zur sehr zuverlässigen künstlichen Immunisierung via Impfung, um der Virusverbreitung endlich jenes Ende zu bereiten, welches unsere persönlichen Freiheiten nicht mehr einschränkt.
Wir sehen uns deshalb nicht nur aufgrund unserer Tätigkeit und der entsprechend direkten Abhängigkeit von den ersten und den letzten Massnahmen gegen die Virusübertragung sowie unserer öffentlichen Ausstrahlung in der Pflicht, unseren Teil zur Lösung dieses weltumspannenden Problems beizutragen.
Impft euch (sofern dies aus medizinischen Überlegungen möglich ist)! Jetzt!
Exil-Texte
No 12
Im November 1998 haben die Vereinten Nationen die Jahre 2001–2010 zur „Internationalen Dekade für eine Kultur der Gewaltfreiheit und des Friedens für die Kinder der Welt“ deklariert. Das Aktionsprogramm beinhaltete unter anderem die Förderung des Respekts aller Menschenrechte, der Gleichberechtigung, Toleranz und Solidarität. Seltsam eigentlich, solche Ziele zum Teil eines zeitlich begrenzten Programms zu erklären.
Nur gut, schaffen wie so oft andere Institutionen fernab der Politik da im richtigen Moment Abhilfe. Es startete mit fliessendem Übergang 2009 nämlich eine neue Dekade. Sie war gezeichnet von leidenschaftlicher Hingabe zur Musik, von jugendlichem Frohmut, von Freundschaft und Liebe. Während das Manifest von 1998 an allen Ecken der Welt irgendwie zu bröckeln schien, bot ein kleiner Raum an der Hardstrasse 245 den Menschen Exil. Ein Ort, an dem jeder willkommen war, für ein paar Stunden zu entfliehen, die Kontrolle abzugeben, zu tanzen, vielleicht eine Zigi zu rauchen, zu singen, sich berauschen zu lassen, sich in der Musik zu verlieren…
Musik verbindet. Wo richtig gute Musik spielt, kommen richtig gute Menschen zusammen. Und wo gute Menschen zusammenkommen, wird Respekt, Toleranz und Liebe nicht nur gepredigt, sondern in allen Facetten des echten Lebens gelebt und weitergegeben. Es folgte quasi die „lokale Dekade für eine Kultur der guten Musik und (Gast)Freundschaft für die Kinder der Nacht von morgen“. Waren Respekt, Gleichberechtigung und Toleranz stets Grundvoraussetzung ihres Programms, unterscheidet sie sich doch in einigen wesentlichen Punkten von der der UNO. Sie hat mehr Musiker gefördert als Massnahmen erfordert, in ihr wurden mehr Freundschaften geschlossen als Verträge abgeschlossen, sie war bestimmt weniger organisiert, man hat sich dafür einiges mehr amüsiert, es wurden definitiv ein paar Hektoliter mehr Braulio getrunken und vor allem: Sie endet nicht. Ihre Musik spielt weiter, ungebremst ins elfte Jahr, zweite Jahrzehnt, direkt hinein in die Nacht von morgen.
Exil-Texte
No 11
Fuck, scho foif vor. Langsam wird’s knapp. Langsam wird’s leer. Die ersten sind schon weg und die letzten eigentlich auch. Obwohl, nicht ganz. Die letzten sind wir. Und wir sind noch da. Immernoch da. Der Rauch und die Schweinwerfer trügen über das längst angebrochene Tageslicht hinweg und auch über meine ersten grauen Haare. Ich glaub ich bleib noch ein bisschen.
Meine Mutter hat kürzlich gesagt der Cousine, der sehe man nun aber wirklich an, dass sie in einem Nachtclub arbeitet. Immer diese unregelmässigen Arbeitszeiten, der Rauch, der Schnaps, der Schlafentzug. Das gehe eben nicht spurlos an einem vorbei. Spurlos war ja auch noch nie so mein Lebensstil. Eher komplett von der Spur abgekommen, keine Spur von Struktur, dann mit Vollgas zurück auf die Überholspur.Da nehm ich das ein oder andere graue Haar auch gern mal in Kauf. Kauf mir ein paar Flipflops und einen Mojito. Null Stress. Weil grau im grellen Fitnessstudio- und Grossraumbürolicht zwar schon grau aussieht, im Sonnen- und Discolight aber silbern glänzt. Alles eine Frage der Perspektive.
Cousine glänzt. Sie dreht die Musik lauter und den Zeiger um ein paar Stunden zurück. Denn von einer Uhr hat sie sich noch nie sagen lassen, wann fünf vor Nachtbus, kurz vor Heiraten oder Zeit zu gehen ist.
Ich glaub ich bleib noch ein bisschen. Verschiebe die ruhige Kugel auf später. Vonwegen wird’s knapp. Solange wir noch da sind, ist die Party nicht vorbei, wir werden nicht älter und das Bier nie warm. Wir haben absolut gar keinen Stress, keinen Zeitdruck und keine Torschlusspanik. Denn unsere Tore schliessen nicht. Egal ob foif vor, foif ab, foifevierzgi oder foiffachi Muetter. Bei uns im Foifi bist du immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
– Anna Luna
Exil-Texte
No 10
Weisch no?
Mit der Nostalgie ist das so eine Sache. Dann heisst es immer, man soll im Hier und Jetzt leben oder nach vorne schauen. Und wir hocken da, schauen uns alte Fotos an, erzählen uns immer wieder die gleichen Storys von früher und bringen uns mit Heimweh nach einer Zeit, in der wir uns irgendwie Zuhause gefühlt haben, zum Lachen und Weinen.
Weisch no? Wie wir aus dem Club geschmissen wurden, wie du dir in die Hosen gemacht hast vor Lachen, wie ich im Morgengrauen mit dem Velo in die Limmat gestürzt bin, du mir beim Kotzen die Haare gehalten hast, inekifft, weisch no, Cabaret, nächtelang, die ganze Gang, durchgetanzt, Perla Mode, duregmacht, Zweitusigzwölf, hach…
Das waren noch Zeiten. Inzwischen haben sich die Zeiten nochmals mindestens dreiundzwanzigmal geändert, ohne dass du es gemerkt hast. Freunde sind erwachsen geworden oder tun so als ob. Andere scheinen gerade erst in der Spätpubertät angelangt zu sein. Wieder andere haben sich aus dem Staub gemacht, sind zu Staub geworden, stecken ganz tief in der Quarterlife-Crisis, haben #timeofmylife, 9 to 5 Jobs, nehmen zu viele Drogen, holen ihr Baby von der Krabbelgruppe ab oder lesen Rauchstopp-Bücher. Immer mal wieder sind neue Menschen in dein Leben gestolpert und haben es angemalt, abgefuckt, durchgeschüttelt, sind geblieben oder wieder gegangen. Was bleibt, sind du und deine Erinnerungen an die Zeiten, die das doch noch waren. Und jetzt? Gehört heute jetzt eigentlich schon zur nächsten Zeit oder noch zur letzten?
Bei all der Unbeständig- und Vergänglichkeit sehnt sich letztendlich auch das hinterletzte Millenial-Opfer manchmal nach einer Konstante, auf die es sich verlassen kann, nöd? Mit Jesus hab ich’s nicht so, drum geh ich ins Exil. Ein Ort gefüllt mit Erinnerungen, an dem aber noch heute die Geschichten von morgen geschrieben werden. Wo ich auch heute noch aus dem Club geschmissen werde, dir beim Kotzen die Haare halte und nächtelang durchtanze. Da fühl ich mich Zuhause. In der Nacht von morgen, von gestern und von heute. 9 Jahre Exil Baby und es git no gnueg zmache zum dänn spöter verzelle.
– Anna Luna
Exil-Texte
No 9
Du hast es dir geschworen: Nie wieder. Irgendwann ist Schluss. Jetzt zum Beispiel wäre gut. Denn nochmal hämmernde Kopfschmerzen, heisskalt-schüttliges Körpergefühl, übereuphorische Instastories, die du lieber schon vor drei Stunden gelöscht hättest und dann auch noch mittelintelligente Gspusis, die du irgendwie aus deinem Bett scheuchen musst - come on, will ja alles keiner.
Das mit dem Party-Machen lässt du jetzt erstmal bitz bleiben nämlich. Gar keine Lust auch, dir ist viel mehr nach einem frischen Salätli oder einer Vitamintablette und bei deiner Oma wolltest du schon längstens wieder mal durchklingeln. Abendprogramm? Netflix, E-Banking, Fensterputzen, max. Morgen Vita-Parcours, safe.
Und dann ist plötzlich 22 Uhr, die Dafalgan schlägt an, dein Blick schweift raus dem Fenster, rein in die Nacht und du denkst zurück. An gestern. Ans kribblig-warme Bauch-Gefühl, den kühlen Prosecco, die Buben und Mädchen im Club, die plötzlich die allerschönsten überhaupt waren. An den Kopf, der plötzlich ganz leer war, die nie müde-werdenden Beine, das glitzrig-verheissungsvolle Licht, den Bass und daran, dass nur dieser eine Moment zählte und niemand wusste, was im nächsten passiert. Ob du vielleicht doch noch…? Nur kurz. Den Vita-Parcours machst du dann einfach übermorgen. Aber wer weiss das schon so genau. Passieren, kann heute alles.
– Karin Zweidler
Exil-Texte
No 8
Kürzlich wurde ich so gefragt: Hey was ist überhaupt Liebe und worum geht’s im Leben eigentlich? Fragen, die mich natürlich komplett überfordert haben. Also hab ich mal schnell meinen Homeboy Yung Hurn angerufen und der hat mir das dann in aller Ruhe erklärt.
«Love is the feeling that you feel when you feel the feeling of the night of tomorrow that you never felt before.» Irgendwas in der Art war’s, wobei ich mir bei der exakten Anzahl und Reihenfolge von «feel» und «feeling» jetzt nicht mehr hundert Prozent sicher bin.
Was er gesagt hat, hat für einen kurzen Moment echt total viel Sinn ergeben für mich. Also hab ich mir das tätowieren lassen, so motivational-quote-mässig halt. Ein bisschen später, so aus der Distanz betrachtet, hab ich’s dann aber irgendwie doch nicht mehr ganz gecheggt. Also hab ich eine Zigi geraucht und nochmals kurz selbst überlegt.
Worum’s im Leben geht? Um die Lieder, die leise im Vorder- und lautstark im Hintergrund laufen. Um die Grillz, die im Strobo aufblitzen. Um die Menschen, die antanzen, hineinspazieren, mitsingen und durchmachen. Um das Girl mit den Locken links hinten an der Bar. Um die, die nur kurz vorbeisteppen. Um die, die du nie wieder loswirst und andere, die kommen und gehen, aber immer wieder kommen. Es geht um die Gang. Um deinen Lieblingstrack. Um die Nacht von morgen. Um den letzten Drink, der eben doch nie der Letzte gewesen sein wird. Um den Drop. Um deine Füsse, die am klebrigen Boden haften bleiben, während du abhebst. Um den Kuss. Und darum, dass die Nächte, von denen du eigentlich gar nicht mehr so viel weisst, trotzdem deine unvergesslichsten bleiben werden.
Ja, wenn ich mir das so überlege, glaub ich, darum geht’s. Das ist Liebe. Aber egal wegen dem Tattoo, geht ja ums Feeling – irgendwie hat Yung Hurn voll Recht.
– Anna Luna
Exil-Texte
No 7
Hey Exil, du guter Typ, bisch ready für chli emotional? Gut, weil wir müssen - Geburi-Gründe, du weisch. Ohren zuhalten bringt nichts, wir singen Happy Birthday laut und wir klatschen danach und haben Wunderkerzen dabei.
Vor 8 Jahren hast du uns unverbrauchten, schüchternen Teenies an der Hand genommen und uns zum ersten Mal die Zürcher Nacht um – und den Tinnitus in die Ohren gehauen. Heute wissen wir: Das mit uns, das war kein Fling, sondern ganz schön serious. Klar, es ist viel passiert die letzten Jahre. Du hattest Promis, Mykki Blanco war da, Anderson .Paak hast du um den Finger gewickelt und Nik Bärtsch hat praktisch jeden Montag mit Ronin in unserer Stube gespielt. Arrogant wurdest du trotzdem nie und wenn schon, dann nur bitzli. Wir sind auch älter geworden, ein bisschen cooler und heute sicher um Längen besser angezogen.
Und weisst du was? Wir gehen immer noch nicht. Wir hängen auch im achten Jahr am liebsten auf deinen Vorplatz-Bänklis rum. Wir rauchen unsere Zigis bei dir, obwohl die einen von uns dabei schon alt aussehen, trinken den ein oder anderen Vodka Soda zu viel, obwohl die einen von uns es mittlerweile besser wissen sollten. Wir tanzen immer noch als gäbs kein Morgen und wir knutschen immer noch in der hintersten Ecke des Fumoirs. Und wir machen Liebe. Mit dir, allen Menschen, der Musik und dem Leben. Hey Exil, du heisses, heisses Ding, du – wir finden dich sexy wie nie.
– Karin Zweidler
Exil-Texte
No 6
Kinder der Nacht von Morgen – Grossenkelinnen und Grossenkel des Jazz, Enkelinnen und Enkel des Ur-Hip-Hop, Nichten und Neffen des Technos, Kinder des Eurodances.
Funkelnd lästige Zahnspange auf dem Passfoto, Führerschein noch warm aus dem Laminiergerät, Bier letztendlich legal von der Tankstelle. Ein Wesen im Morphzustand zwischen Akne und Bart, Nixchegger und Ahnendem. In der ersten WG in der Stadt wird feiernd abgenabelt, zwischen ihnen und allen Enden der Welt steht für den Anfang lediglich ein Abschluss. Die Nachzuahmenden performen überspannend medial. Ihr Style; dein Style. Ihre Musik? Dein Antrieb.
Die Kinder der Nacht von Morgen folgen ungeschriebenen Gesetzen, das Verhalten im Coolen beinhaltet einen Codex, den es nicht unbedingt zu dechiffrieren gilt. Bleibt dieser Aufkleber auf der Mütze, Ja, Nein? Wenn ja wieso, und wenn nicht, wieso nicht? Stilfragen sind Fragen die keinerlei Antworten schuldig sind. Stil ist unerschütterlich, in sich selbst unumstösslich. Gerade dann, wenn er kopiert wird und dessen Ursprung nichts weiteres als Vorbilder sind, Idole. Eine Heldin, ein Held für die Kinder der morgigen Nacht.
Kinder der Generation X, selber schon Generation Beep-Digital Natives. Das Tablet als silbernes Tablett für eine mästende Datenzufuhr. Gescrollte Nichtinformationen vom Smartphone. Nachrichten, die nur gesendet werden, weil es eben geht. Schiebt man sich in der Schule noch Zettel mit Nachrichten unter den Schulbänken durch?
Und dann, irgendwann, verdünnen sich einige der Kinder der Nacht von Morgen von der Kopie zum Original, werden von Gemachten zu Machern. Werden selber zum Trend, zu einer Stildefinition. Die Nacht von Morgen wird unter ihrer Prägung stehen. Zumindest unter der der Originale. Für die Nacht von Morgen.
– Tinguely Dä Chnächt
Exil-Texte
No 5
Ihre Boten schicken Stromstösse aus allen Winkeln des Runds. Mutterhaft warm gestrichene Scheiben lullen dich ein in klingende Winterschals gross wie der grösste Winterschal der Welt. Ein Wespennest von Trommeln lässt dich springen. Hirsche röhren aus dem Ostwald, Eichhörnchen aus Übersee wecken die Kinder.
Magier setzen Nadelstiche aus dem Burgfenster, Insulaner befeuern im Stamm die Hütte – schamanistische Rituale am Holzbalken.
Der Spass ist golden, die Weile nie lang, sind die Becher kurz. Der Strohhalm im Glas mehr als der letzte zum danach greifen; ein Periskop aus dem Untergrund. Treibende Eisschollen vor Kuba. Limette wäre ein schöner Mädchenname: „Limette, schwimm nicht zu weit raus!“
Das Lichtspiel ein Laserschwertkampf unter rotierenden Kratern; grellen, strahlenden Kratern. Keine Lichtschranken im Trockeneis – Einladungen. Der Rauch eine Watte, schemenhaft gezeichnete Helden im Nebel ringen um Ruhm und Ehre. Das Holde verzückt, das Verzückte wedelt.
Einvernehmliches Verlorengehen, poröse Lippenbekenntnisse und dann dort, irgendwo dort unter den schwammigen Hülsen: Wahres, erträumt Wahres.
Und die Torwärter prüfen an der Pforte die Anwärter auf die Reinheit ihres Vorhabens. Erweist sich die Schlange als würdig, zischt sie am Tresen mit den Flaschen, den Dosen.
Die Minute sechzig Blicke, die Stunde sechzig Berührungen, die Zeit eine Ausgeschlossene. Eben nicht gefragt. Das Licht am Ende tut das ihrige, das Licht am Ende ist weit weg.
Die Minute sechzig Blicke, die Stunde sechzig Berührungen, der Takt Stromstösse aus allen Winkeln des Runds. Aus allen Ecken des Eis. Ein Abstellraum im Innenhof, ein Lokal an der Ecke, ein Keller im Hinterhof, ein Zimmer um die Ecke. Stolze Pauken, kraulende Tasten, wimmernde Maschinen, alle Saiten aller Medaillen. Kein Mitgehen ohne Abholen. Sie holt dich ab.
Und ihre Torwärter prüfen die Anwärter auf die Reinheit ihres Vorhabens. Erweist du dich als würdig, ist sie dein Freund.
– Tinguely Dä Chnächt
Exil-Texte
No 4
Spätestens irgendwann gegen Ende 20 rum kommt den meisten von uns die grandiose Idee, den Lebensstil anpassen zu müssen. Velo statt 4i-Tram, paar grundsätzliche Konsumfragen klären, bitz Salat, schlafen in der Nacht, wach sein am Tag. Rhythmus halt.
Nun sind meine Freunde nicht grad bekannt dafür, einen wahnsinnig beständigen Lebenswandel zu führen. Zum Glück. Denn für mich sind eher jene Menschen irgendwie verdächtig, die nicht ab und zu mal gehörig aus der Reihe tanzen. Meine Eltern beispielsweise. Sehr verdächtig. Das Nachtleben mit meinen Freunden also sorgt deshalb seit Jahren für eine beeindruckend stabile Bilanz der Unbeständigkeit. Und da legen wir grossen Wert darauf.
Anfangs Jahr meinte dann aber tatsächlich mal einer unserer Freunde beim Verlassen eines Clubs morgens um 10, ja, was meinte er eigentlich? Er meinte, und jetzt kommts, dass man durchaus auch wie normale Menschen um diese Zeit aufstehen und den Beck für ein Gipfeli besuchen könnte. Normale Menschen, haha. Anstelle von – wie wir es grad taten – den Beck um diese Zeit auf dem Heimweg von einer Party zu besuchen und dann zu Bett zu gehen. Oder zur nächsten Afterhour. Das sagte der einfach so. Der kleine Verräter. Er hat sich dann aber wieder erholt.
Ich glaube, wir alle haben schonmal so unsere Versuche gestartet mit dem eingangs erwähnten Rhythmus. Heute war ich beispielsweise zu Gast an einer Vorstellung unseres nationalen Lieblingszirkus’. Sunntig am halbi elfi. Normal. Meinen Eltern und den restlichen Besuchern war das aber offenbar noch nicht genügend Beweis für meinen Rhythmus. Nein. Sobald das Orchester auch nur Ansätze von Takten in einem Stück anspielte, versuchten die Zuschauer wie wild rhythmisch mitzuklatschen. Eine Zeitlang ging das gut, irgendwann geriet dann aber selbst das Orchester aus dem Takt. Zumindest hab ich mir das innigst gewünscht.
Ich wünschte mir eine Zeitlang übrigens auch mal einer Yogaklasse anzugehören. Halbi sibni am Morge, drümal ide Wuche. Ausschliesslich junge Leute, beständiger Lebenswandel, gutaussehend, um diese Uhrzeit. Und ich war mitten unter ihnen. Checkt meinen Rhythmus, Leute! Das ritusähnliche Getrampel der Yogagirls zwischen den einzelnen Figuren hat mich dann aber nachhaltig in meinem inneren Frieden gestört. Ernsthaft, ich war nach den Lektionen weniger entspannt als zuvor.
Immerhin aber holte ich mir anschliessend amigs ein Gipfeli beim Beck und ging mit Z’morge ins Büro. Wie normale Menschen. Geil. Ansonsten verstehe ich unter Rhythmus zuallererst immer noch Musik. Ob am Tag oder mitten in der Nacht. Von morgen. Da bin ich dann sehr beständig. Chreis Foif, Exil, Babe!
Exil-Texte
No 3
Sonntag war jetzt nie so mein Lieblingstag. Aus einfach zu erahnenden, irdischen Gründen. Bis ich ihn irgendwann kurzerhand zur verlängerten Samstagnacht erklärt hab. Ich hab ihn heilig gesprochen. Und mit ihm das ganze Wochenende.
Religion ist ja alles chli. Crossfit. Ripped Jeans. Yoga. Golf zum Beispiel, nöd? Und ich war kürzlich joggen, auch eine Religion. Bin weit ausserhalb des Chreis Foif am Dolder vorbeigejoggt. Das heisst, ich nahm kurz vorher mal easy schnell die Abzweigung. Wiese, Wald, Strässli, und weg. Aber: Es war ein Golfplatz! Und ich habe damit gleich einen regelrechten Glaubenskrieg losgetreten. Golfkrieg. Jogger. Golfer. Er hat mich angeschpoizt. Ich habe seinen Ball ins hohe Gras geworfen. Handicapiertes altes Eisen.
Wahrscheinlich werden diese Vorbehalte zwischen Religionen schon von klein auf zementiert. Respektive zumindest mit Schpoiz angerührt. Wart ihr mal an einem Kindergeburtstag? Ich schon. Der Sohn meiner Nachbarin wurde vor einigen Monaten drei. Seither glaube ich, Kindergeburtstage sind die Treffen neuer, geheimer urbaner Sekten. Alles folgt strikten Regeln: Geschenke, Dekoration, Unterhaltung. Kerzen ausblasen. Eines der Kiddies hatte dann die Idee, diese mit Schpoizen auszulöschen. Alle fanden sie gut. Anfänglich. Vielleicht war es ein Racheakt aufgrund des falschen Geschenkpapiers.
Auch einer Gruppe junger Rekruten habe ich schon beim Schpoizen zugeschaut. Sie kamen recht weit. Es sah so lustig aus, ich musste es filmen. Einer ist mir dann nachgerannt und ich musste den Film löschen. Das Militär sieht sich eben auch chli als was Unantastbares. Eine Religion. Jedes Jahr werden neue anständige Ministranten gesucht. Das neue Gepäckset dieser Ministranten sieht übrigens bitz aus wie eine Golftasche.
Es hat aber immerhin einen coolen Weekender dabei. Für heilige Wochenenden. Inklusive Sonntag. Wobei der Montag irgendwann dann doch kommt. Und der war noch nie so mein Lieblingstag. Vielleicht muss man diesen Tag dann ebenfalls mal noch zur verlängerten Samstagnacht erklären. Und damit heilig sprechen.
Bei uns im Chreis Foif, 7 Jahre Exil, Babe!
Exil-Texte
No 2
Irgendwie sind Musikschulen die wahren Problemzonen. Diejenigen einer Kindheit im Chreis Foif zumindest. Denn es galt noch nie als besonders cool, nach der Schule gleich nochmals in eine Lektion reinzusitzen. Freiwillig. Da wird ja eh nur Flöte, Geige und Klavier unterrichtet. Und wer wollte schon später mal im Chreis Eis auf irgendeiner spiessigen Bühne ein Geigenkonzert geben.
Eine Flötentasche mit sich zu herumzutragen war deshalb die sicherste Methode zum Popularitäts-Selbstmord. Eine Freundin von mir hat’s sogar mal mit einem Akkordeon versucht. Eine Handorgel! Fuck! Man muss sich das mal vorstellen! Das ist wie Bruce Willis in Harlem. Ich musste zwischenzeitlich Abstand nehmen von ihr. Unsere Wege haben sich dann auch getrennt. Sie drehte ihre Ausbildung Richtung Konservatorium, ich die Musik lauter, meine Zigaretten selbst, Lehre machen, tschüss.
Natürlich hatte Musik nie etwas uncooles an sich. Im Gegenteil. Wir waren die Michael Jacksons, die Madonnas, die Salt’n’Pepas, die Run DMCs und die Kurt Cobains des Pausenplatzes. Eben die, die sich Schlagzeug und Gitarre dann später easy mal selbst beibrachten, regelmässig mit blutigen Fingern zur Schule kamen.
Und dann waren da die Anderen. Mir bleibt nach wie vor verborgen, was die so für Musik hörten. Und machten. Ich bin mir aber sehr sicher, dass es dazumals peinlich sein musste. Eine mindestens ebenso schwere Bürde, wie ein Akkordeon quer über den bevölkerten Schulhof zu tragen.
Sie, meine Freundin von damals, gehört mittlerweile zu den renommiertesten Akkordeonspielerinnen der Gegenwart. Sie stand schon mit Tom Waits auf der Bühne. Sie schrieb Songs mit Bob Dylan. Und kürzlich wurde sie vom Rolling Stone Magazine im Rahmen einer Upcoming Talents Serie portraitiert.
Natürlich ist das alles gelogen. Aber sie ist wirklich verdammt gut. Sie spielt weniger auf den Spiesser-Bühnen des Chreis Eis als vielmehr in etablierten Kulturlokalen europaweit. Und tanzt bei uns in die Nacht von morgen. Chreis Foif, Babe! Da unterrichtet sie jetzt übrigens auch an irgendeiner Musikschule.
Exil-Texte
No 1
Städter sind ausgesprochen territorial. Seinem Revier braucht man hier nicht abtrünnig zu werden. Denn zwischen Eisenbahnlinie und Asphaltdschungel herrschen hervorragende Lebensbedingungen.
Aber für einige Stadtfüchse liegt Escher Wyss, so nennt sich unser Quartier, schon fast ausserhalb des Pirschbezirks. Wenn nicht grad schon in der Agglo. Mit rauer Flora. Und argloser Tierwelt. Daran ändern auch ein paar kürzlich hierher umgesiedelte junge Kreative nichts. Da draussen herrschen die Gesetze der Wildnis. Wir, an deren Grenze, sind der letzte Bau der Zuflucht. Da man ab hier jederzeit dem Hungertod zum Opfer zu fallen droht. Selbst der Autoverkehr in der Stadt ist eine weitaus kalkulierbarere Gefahr, als in freier Natur vor eine Flinte zu geraten. Wir, das städtische Bollwerk gegen den reellen Einbruch der Wildbahn Gefahren.
Auf der anderen Seite befinden wir uns inmitten einer tollwütig grassierenden Gentrifizierung. Heute fressen Baumaschinen Ateliers, Studios und kreativen Wohnraum. Morgen gestaltet hier die gutbezahlte Mittelschicht im gutbezahlten Wohnraum das übermorgen noch nicht vorhandene Quartierleben.
Nun ja. Vor wenigen Jahrzehnten hat man hier noch das Heu gekehrt und eingetragen. War irgendwie auch beschissen. Also hat mit der einkehrenden adligen Industrie ja im Entferntesten auch eine Art Gentrifzierung stattgefunden. Heute können wir da tanzen. Und selbst der reviertreuste Stadtfuchs ist am nächsten Morgen schon mal weit ausserhalb seines Territoriums aufgewacht.